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P4P ist ein komplexes Feedback-Instrument mit lerntheoretischem Hintergrund, das im Gesundheitssystem eingesetzt wird, das einerseits als Organisationsform besonderen Zuschnitts (Expertenorganisation), andererseits als umfassendes System mit hochgradiger Komplexität zu beschreiben ist. Für die Kombination dieser beiden Konzepte wird in der vorliegenden Arbeit der Begriff der “komplexen professionellen Systembürokratie” verwendet (s. Kap. 3.4., zur Definition s. Tableau 25a). Neben einer Unsichtbarkeit der Regeln, der ausgeprägten Autonomie und der Tendenz zur Selbstorganisation ist dieses System besonders durch das Innovations-Paradoxon und die intrinsische Unsicherheit gekennzeichnet. Das Innovations-Paradoxon beschreibt die Gleichzeitigkeit von  Innovationsresistenz gegenüber äußeren Anforderungen und Innovationsnähe im operating core der Experten. Unter intrinsischer Unsicherheit wird in dieser Arbeit die Toleranz von Unsicherheit sowohl in Expertenorganisationen als auch in komplexen Systemen verstanden. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, erstaunt es kaum, dass ein Feedback- Instrument wie P4P, wenngleich Belohnungs-bewehrt, als isolierte Intervention im Gesundheitswesen kaum eine Chance hat, die angestrebte Qualitätsverbesserung zu erreichen - die Veränderungen werden vom System quasi “verschluckt”, zumindestens in dem Fall, dass notwendige flankierende Maßnahmen ausbleiben. Aus diesem Grund - nämlich weitere flankierende Weichenstellungen zu identifizieren - ist es sinnvoll, sich mit einigen Aspekten eingehender zu beschäftigen: ● Professionalismus als Chance? ● Organisatorisches Lernen fördern ● Motivation crowding out ● Value statt Qualität ● Attraktoren ► Professionalismus: Die Veränderungsresistenz des Gesundheitswesens hat in den letzten 20 Jahren innerhalb und außerhalb des Gesundheitswesens breite Aufmerksamkeit erhalten. Die bisherigen Ansätze zur Beförderung von notwendigen Veränderungen bedienten sich einer Erweiterung der verhaltenstheoretischen Konzepte um Elemente der sozialen Wahrnehmung betreffend Einstellungen, Haltungen, Rollenverständnis und Professionalismus (z.B. Greco und Eisenberg 1993, Bero et al. 1998Grimshaw et al. 2004). So stellen Interventionen wie Leitlinien und Evidence-Based Medicine als externe Wissensbasen neue Anforderungen an die sozialen Rollen in den Mittelpunkt, der Typus des impliziten Heilers wird abgelöst durch den expliziten Experten, Rollenveränderungen zwischen den Berufsgruppen im Gesundheitswesen haben Hochkonjunktur (vgl. SVR 2008). Die Thematisierung ökonomischer Gesichtspunkte durch externe Akteure (z.B. die politische Ebene) wird forciert, hat letztendlich aber nur zum Vorwurf der “Ökonomisierung” geführt, als ob die Berufsgruppen im Gesundheitswesen nicht auch schon vorher ausgeprägte Erfahrungen mit Situationen der Knappheit gemacht hätten. Nun wird auch bei der Thematik P4P an den “Professionalismus” appelliert, insbesondere der Ärzteschaft. Wenn man sich diese Situation vor dem Hintergrund der organisatorischen und Systemeigenschaften betrachtet, die hier ausgeführt wurden, erscheint es außerordentlich unwahrscheinlich, dass der Rekurs auf Ansätze der sozialen Wahrnehmung wie Rollenveränderungen und Professionalismus Erfolg haben werden, obwohl sie durchaus als Voraussetzungen einer Veränderung angesehen werden müssen. Diese Aussage gilt trotz der unzweifelhaften Vorteile gerade für die Berufsgruppen im Gesundheitswesen, die sich aus P4P ergeben, denn was wäre sinnvoller, nach Qualität statt nach Stückzahl bezahlt zu werden? Es muss eine gewisse Analogie zur Diskussion um EBM konstatiert werden, wo die Differenzen zwischen den beiden Positionen Handwerk vs. Wissenschaft (s. Kap. 3.2.2.) auf der professionellen Ebene nicht gelöst werden konnte, obwohl sich speziell für die Ärzteschaft die einmalige Chance ergeben hätte, Einfluss auf ein wichtiges, Wissenschafts-gestütztes Instrument der Allokation von Mitteln zu erhalten. Allerdings kommt es zu Verschiebungen in den beruflichen Rollen, inbesondere ändert sich im Rahmen einer P4P-Einführung die Arbeitsteilung zwischen Ärzten und Pflege. Bei der Einführung von P4P kommt es nach den empirischen Daten durch die Übernahme vorher ärztlicher Tätigkeiten durch die Pflege dort zu zusätzlicher Belastung und Unzufriedenheit (Kurtzman et al. 2011, Maisey et al. 2008, McDonald et al. 2007). Eventuell wird die Teamarbeit erschwert (Maisey et al. 2008), wenngleich im Allgemeinen eine Verbesserung berichtet wird. Aus diesem Grund werden dezidiert multiprofessionelle und multidimensionale Implementierungsstrategien für P4P empfohlen (Timmermanns und Mauck 2005), insbesondere Veränderungen der Rollen und der interprofessionellen Zusammenarbeit betonend, die schon die unten beschriebenen Aspekte des organisatorischen Wandels mit einbeziehen. Empfehlung 13: Multiprofessionelle und multidimensionale Implementierung ist zu bevorzugen Die monoprofessionelle Beschränkung des Professionalismus-Konzeptes auf interne Motivation, Altruismus und Autonomie hat zu keiner tragfähigen Strategie geführt. Die Implementierung von P4P sollte einem multiprofessionellen Ansatz folgen und primär die Rollenverständnisse der beteiligten Berufsgruppen weiterzuentwickeln versuchen, ohne die Miteinbeziehung von Konzepten des organisatorischen Wandels und des Kontextlernens wird jedoch kein Erfolg zu erzielen sein. ► Organisatorisches Lernen fördern: Es ist unumgänglich, wie in Empfehlung 3 bereits angesprochen, das lerntheoretische Instrument P4P nicht nur um Aspekte der sozialen Wahrnehmung (Rollen, Professionalismus), sondern auch um Elemente des organisatorischen Wandels und um Kontext-bezogene Modelle zu ergänzen. Als Beispiel aus der Vergangenheit kann die Bildung von Zentren herangezogen werden, wo - bei aller Kritik - doch im Krankenhausbereich und darüber hiinaus Prozesse in Gang kamen, die einem organisatorsichen Wandel mit Veränderungen der Verantwortung und Wertevorstellungen nahekommen. Allerdings werden organisatorische Ansätze im Gesundheitswesen nur sehr zurückhaltend eingesetzt, wahrscheinlich um der Angst vor Einschränkungen der professionellen Autonomie keine Nahrung zu geben. Gleichwohl ist dieser Aspekt des organisatorischen Lernens ein wichtiges Argument dafür, die Organisation als Ganzes zum Adressaten für die P4P-Zahlungen zu machen, und nicht einzelne Personen (s. Empfehlung 10). Empfehlung 14: Die Organisation als Ganzes ansprechen, den organisatorischen Wandel fördern P4P setzt die Organisation unter “internen Stress”, es müssen jetzt nämlich zusätzlich zu Kosten und Mengen-bezogenen Erlösen auch Erlös-wirksame Qualitätsinformationen intern bearbeitet werden, und zwar hinsichtlich sowohl der Abgrenzung von Verantwortung als auch der Aufgabenstellungen und in der Führungsarbeit. ► Motivation crowding out: Grundsätzlich muss bei jedem Vergütungssystem, das im beruflichen Kontext angewandt wird, mit Auswirkungen auf Motivation, Rolle und Zusammenarbeit gerechnet werden (Prendergast 1999, s. auch Kap. 3.5.1.). Zur Motivation der Ärzte besteht die wichtigste Befürchtung darin, dass die interne Motivation (professionelle Einstellung), durch die externe Motivation i.S. einer Qualitäts-bezogene Vergütung gemindert wird (”crowding out”; Berenson et al. 2013, Cassel und Jain 2012). Empirisch ist dies jedoch nicht zu belegen, wie Untersuchungen z.B. im QOL-Projekt in Großbritannien zeigen (McDonald et al. 2007), und auch von theoretischer Seite gibt es Gegenargumente (Prendergast 1999, Staehle 1999, S. 242). Dieses häufig geäußerte Argument ist also nicht so durchschlagend, wie man es auf den ersten Blick meint. În diesem Zusammenhang ist die Diskussion um den Zielpunkt von P4P interessant, u.U. ist es sinnvoller, die Effizienz (value) statt Qualität allein anzureizen. Empfehlung 15: Motivation Crowding Out - im Blick behalten, aber nicht überschätzen Es ist nach den empirischen Ergebnissen und aus theoretischer Sicht unklar, ob sich bei P4P externe und interne Motivation gegenseitig schwächen. Das Problem sollte begleitend untersucht werden (Befragungen etc.). ► Value statt Qualität: Gegenwärtig wird in Deutschland davon ausgegangen, dass ein P4P-Programm im Gesundheitswesen allein der Qualität der Versorgung Rechnung tragen muss (”quality-based purchasing”, Cannon 2006). In den USA wurde jedoch durch das VBP-Programm, das im Jahr 2010 im Rahmen des Patient Protection and Affordable Care Act beschlossen wurde und seit Ende 2012 implementiert ist (seit 1.10.2013 sind die finanziellen Regelungen im Krankenhausbereich aktiv), ein Anreizsystem geschaffen, das nicht nur die Qualität, sondern die Effizienz der Versorgung zum Gegenstand hat (Brown et al. 2014, Chien und Rosenthal 2013, CMS 2011A, CMS 2011B, Ryan et al. 2012). Dieser Effizienz- Gedanke wird als Value (”quality in relation to the cost of care”, Tompkins et al. 2009, s. auch Damberg et al. 2009) bezeichnet und wird bereits seit Anfang der 90er Jahre in den USA intensiv diskutiert (Wenzel 1992). Gegenwärtig ist  Value auch der Kernbegriff der gegen die Überversorgung mit nutzlosen bzw. schädlichen Verfahren gerichteten Choosing Wisely Initiative der National Physicians Alliance in den USA (Morden et al. 2014). Es wäre auch in Deutschland eine wichtige Diskussion, welche Vorteile es haben könnte, auch in Deutschland primär diesen Ansatz zu wählen. Dagegen spricht wohl in erster Linie die Annahme, insbesondere bei Ärzten würde eine externe finanzielle Motivation die a priori gegebene interne Motivation (zu den Begriffen s. Kap. 3.5.1.) schwächen (zum motivation crowding out  s.o.). Abgesehen davon, dass es dafür kaum empirische und theoretische Argumente gibt, wäre auch zu überlegen, ob es nicht gerade die ausschließliche Orientierung solcher externen Anreize auf die Qualität ist, die Widerstand erzeugt. Bei aller Bezugnahme auf die professionellen und altruistischen Motivationsebenen bleibt ja eines klar: Ärzte und die anderen Berufsgruppen sehen es schon als richtig an, sie adäquat zu bezahlen. Von daher ist es durchaus wahrscheinlich, dass die Kopplung von P4P an Parameter nach dem Muster “Kosten für Qualität” eine gute Akzeptanz erfährt. Empfehlung 16: Value (Effizienz) statt allein Qualität als Zielgröße für P4P-Programm in Betracht ziehen Das VBP-Programm in den USA setzt auf value (Effizienz) als Zielgröße für P4P und kann amit evtl. eine bessere Akzeptanz erreichen, denn die Kosten der Versorgung sind ein etablilertes Kriterium für die Außenbeziehungen der Gesundheitseinrichtungen. ► Attraktoren: Komplexe Systeme orientieren sich an sog. Attraktoren (s. Kap. 3.3.1. und 6.2.), von außen nicht erkennbare Systemzustände, die eine relative Stabilität aufweisen, in deren Richtung sich die Systeme entwickeln. Wenn man über framing (s. Kap. 7.6.) und direction pointing (s. Kap. 7.7.) nachdenkt, erscheint es sinnvoll, über Attraktoren in der komplexen professionellen Systembürokratie zumindest Hypothesen aufzustellen. Wichtig ist der Altruismus der Berufsgruppen im Gesundheitswesen, dem Menschen zu helfen, ist der Antrieb vieler dort Tätigen (A) (Timmermanns und Mauck 2005). Ein zweiter Attraktor besteht sicherlich in professioneller Autonomie und Kollegialität, ganz wie im Konzept der Expertenorganisation beschrieben (B) (Avorn und Fischer 2010, Cook et al. 2004). Als weitere Attraktoren kommen Wissenschaftsorientierung (C) und die finanzielle Honorierung im Sinne der Wertschätzung in Frage (D) (Frolich et al. 2007). Und letztendlich: es soll organisiert sein, die Supportfunktionen müssen stimmen (E). Diese hypothetische Aufzählung hat ihre Bedeutung, solange system- und komplexitätstheoretische Konzepte weiter verfolgt werden, um Entwicklungen im Gesundheitswesen zu erklären bzw. vorherzusagen. Nach den Botschaften der Komplexitätstheorie, sind die Effekte oft überraschend. Als Beispiel mag die große Akzeptanz der Patientensicherheitsthematik in den Gesundheitsberufen gelten, die nur über die Attraktoren Altruismus und Steigerung der professionellen Autonomie zu erklären ist. Wenn man über die Implementierung von P4P-Programmen nachdenkt, ist die finanzielle Honorierung sicher ein wichtiges Argument. Empfehlung 17: Attraktoren des komplexen Systems diskutieren, Attraktoren nutzen Es ist lohnenswert, sich getreu der Konzepte der System- bzw. Komplexitätstheorie Gedanken über mögliche Attraktoren zu machen und sie bei der Implementierung von P4P-Programmen zu nutzen. Weiter: 7. Empfehlungen für die zukünftige Nutzung von P4P, 7.6. Ökonomie und Vergütungssystem 
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7. Empfehlungen für die zukünftige Nutzung von P4P 7.5. Organisation und System beachten!
© Prof. Dr. med. Matthias Schrappe, Venloer Str. 30, D-50672 Köln Impressum und Datenschutz
Schrappe, M.: P4P: Aktuelle Einschätzung, konzeptioneller Rahmen und Handlungsempfehlungen, Version 1.2.1.
Tableau 25a (aus Kap. 3.4.): Definition der komplexen professionellen Systembürokratie Aus der Synthese der Konzepte Expertenorganisation (professional bureaucracy) und Komplexitätstheorie entwickelter Arbeitsbegriff, der auf gemeinsamen Eigenschaften beider Konzepte wie Autonomie, Tendenz zur Selbstorganisation, Toleranz von Unsicherheit (“intrinsische Unsicherheit”) und “Innovationpardoxon” (Innovationen nicht planbar bei großer Innovationsnähe) beruht und zur Beschreibung sowohl der organisatorischen als auch der Systemebene verwendet wird.
M. Schrappe P4P: Aktuelle Einschätzung, konzeptioneller Rahmen und Handlungsempfehlungen