Matthias Schrappe
Lesen
Der Feind meines Vaters von Almudena Grandes, Hanser 2012 (ISBN 978-3-446-24125-1)
Man könnte sagen: schon wieder ein (gut geschriebenes) Buch über Diktatur, über
den spanischen Bürgerkrieg, über Franco, Gewalt, Tod und Folter. Mit bildreicher
Sprache, mit großer Leidenschaft und Intensität, und mit unübersehbarer
Verwandtschaft zur lateinamerikanischen Literatur ähnlicher Thematik.
Das ist es schon - aber es ist mehr. Es ist ein Buch aus den Augen eines
heranwachsenden Jungen. Nino ist der Sohn eines Guardia Civil Beamten in der
Franco-Zeit, der Bürgerkrieg ist noch allseits präsent. Die Familie wohnt in der
Kaserne, in der auch die Verhöre der Gefangenen aus den Tälern stattfinden, und
durch die dünnen Wände bekommt der Junge alles mit. Keinerlei
Schwarzweissmalerei - das Buch handelt davon, wie Nino aus dem Grauen heraus
die Dinge verstehen lernt, wie er seine Umwelt einzuordnen und sogar seinem Vater
zu verzeihen lernt. Dabei hat er die Hellsichtigkeit des Kindes, und der Autor versteht
es, diese Hellsichtigkeit jenseits jedes altklugen Zungenschlages in großer Klarheit
darzustellen. Nino kennt in den Bergen den “Portugiesen” kennen, Pepe, und
freundet sich mit ihm an, genauso wie mit einer Gruppe von Frauen, die zusammen
ein Haus bewohnen, in dem auch Pepe ein und aus geht. Hier erhält er Unterricht
und - der größte Schatz - Zugang zur dortigen Bibliothek, er liest, und das hilft ihm
weiter. Es geht um Befreiung, aber das Buch erhält seine Spannung noch in weitaus
höherem Maße durch die Frage, wie der Junge mit seiner Angst, seinen Ahnungen
und der zunehmenden Gewissheit klarkommt, wie er sich entwickelt - oder ob er
daran scheitert. Also, man merkt schon, Empfehlung kaufen (und lesen, klar).
L’Art Français de la Guerre von Alexis Jenni, Gallimard 2011 (ISBN 978-2-07-013458-8)
“J’allais mal; tout va mal; j’attendais la fin.” Das war mein Roman der Bretagne-
Reise in diesem Jahr. Schwere Kost, und auch noch auf französisch. Jetzt, während
ich diese Zeilen schreibe, sagt das Internet: es ist doch auf deutsch erschienen (im
Luchterhand Literaturverlag). Man hätte es einfacher haben können -- wenngleich
mich die gewaltige Sprache fasziniert hat. Sie ist dem Sujet gegenüber
angemessen: es wird die Geschichte zweier Franzosen geschildert, die - eine
Generation auseinander - das Leben als Krieg erleben. Und zwar wirklich als Krieg.
Der Ältere kämpft in der Resistance und im Zweiten Weltkrieg, in Vietnam und in
Algerien (wo er die ehemaligen algerischen Verbündeten aus dem 2. Weltkrieg als
Todfeinde wiedertrifft). Und der Jüngere erlebt das heutige Leben - im Fernsehen,
auf den Straßen, im Irak - als Krieg. Der Eine kann sehr gut zeichnen, der Andere
gut schreiben, so treffen sie sich und tauschen ihre jeweiligen Fähigkeiten aus. Eine
Liebesgeschichte gibt es trotz des apokalyptischen Szenarios auch noch.
In Frankreich hat das Buch große Kontroversen ausgelöst, wohl wahrscheinlich
wegen des sehr lakonischen Umgangs mit der Rolle der Franzosen während der
deutschen Besatzung, die als opportunistisch geschildert wird, vor allem aber wegen
der Thematisierung des Krieges im französischen Selbstverständnis, im
Selbstverständnis des französischen Mannes: “Oh! ces beaux soldats de l’été, dont
presque aucun ne mourut!”
So schon auf der 1. Seite. Man kann nur sagen, ein absolutes Lese-Muss.
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