Prof. Dr. med. Matthias Schrappe
20.11.2014 “Qualität 2030 - die umfassende Strategie für das
Gesundheitswesen”
Im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin wurde heute das Buch
“Matthias Schrappe: Qualität 2030 - die umfassende Strategie für das
Gesundheitswesen” (Geleitwort von Ulf Fink und Dr. Franz Dormann)
vorgestellt, als Gutachten im Auftrag von Gesundheitsstadt Berlin e.V. verfasst und
erschienen bei der Medizinisch Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft Berlin (zur
Presseerklärung, Download des GA, Beilage Tagesspiegel vom 19.11.14).
“Qualität 2030” stellt den Auftakt zur gleichnamigen Kampagne dar, die die Begriffe
Qualität und Patientensicherheit als Leitbegriffe der
dringend anstehenden nächsten Entwicklungsphase des deutschen Gesundheitswesens
versteht. Die “alte” Qualitätssicherung mit ihrer Fokussierung auf die prozedurale und Sektor-
orientierte Akutmedizin, seit 20 Jahren praktiziert, ist Geschichte. Es muss dringend der
Paradigmenwechsel zu einer auf chronische Erkrankungen, Koordination und regionale
Versorgung bezogenen Qualitätssicherung eingeleitet werden - anders wird die Versorgung der
Bevölkerung unter den kommenden demographischen Bedingungen nicht zu bewältigen sein.
Qualität wird in “Qualität 2030” nicht als Notpflaster verstanden, sondern als prägender
Bestandteil einer zukunftsfesten Gesundheitspolitik, die die Strukturentwicklung in den
Vordergrund stellt - daher erklärt sich auch der zweite Teil des Titels “... die umfassende
Strategie für das Gesundheitswesen”. Das Buch legt dabei eine eingehende Analyse des
deutschen Gesundheitssystems und seiner Qualitätsdefizite zugrunde und entwickelt daraus
ein Rahmenkonzept für die weitere Entwicklung des Gesundheitssystems. Unter Einbeziehung
organisationswissenschaftlicher, verhaltenspsychologischer, ökonomischer und politologischer
Erkenntnisse werden insbesondere die Rahmenbedingunen und Erfolgschancen der
wichtigsten Qualitätssinstrumente diskutiert, auch hinsichtlich des Erwartungshorizontes
sinnvoller Evaluationsmaßnahmen.
Es handelt sich also um eine grundlegende und nachdenkliche Analyse, wenn gleichwohl (Kap. 3) eine gründliche
Darstellung der Qualitätsdefizite darin enthalten ist, die von der Patientensicherheit bis zur mangelnden Koordination, von
der Schmerztherapie bis zum Dekubitus reicht - und sei es nur, um uns vor Augen zu führen, wie breit die Problematik ist, und
wie sehr wir uns schon “an die ganzen Zahlen” gewöhnt haben. Hier bleibt die Analyse jedoch nicht stehen, sondern sie stellt
die Frage nach der Zielorientierung unserer Qualitätssicherung. Wir vergessen ja immer wieder: Qualitätssicherung ist
niemals Selbstzweck, sondern dient der Behebung von Problemen. Wenn man unser Gesundheitssystem mit seiner sektor-
betonten Orientierung an der Akutmedizin als Grundlage nimmt, dann hat eine glaubwürdige und erfolgsversprechende
„umfassende“ Qualitätsstrategie vor allem drei Aufgaben zu erfüllen:
● sie muss den zukünftigen Anforderungen im Krankheitsspektrum einer alternden Gesellschaft genügen (Behandlung bzw.
Begleitung chronischer Mehrfacherkrankungen, Prävention),
● sie muss die Sektorierung überwinden und für mehr Koordination sorgen, und
● drittens muss sie alle Qualitätsperspektiven umfassen: sie darf nicht bei der Prozeduren- bzw. Diagnose-bezogenen,
klassischen Qualitätssicherung stehen bleiben, sondern hat vor allem Nutzenaspekte und Patientenorientierung mit
einzubeziehen.
Eine solche Qualitätsstrategie kann aktiv dazu beitragen, Problem-orientiert das Gesundheitssystem weiterzuentwickeln.
Ein Qualitätsverständnis, das auf der Neutralisierung unerwünschter Vergütungsanreize beruht, gehört der Vergangenheit an.
Die derzeitige Qualitätssicherung ist auf wenige stationäre Krankheitsbilder und Eingriffe begrenzt, die der operativen
Behandlung von Akuterkrankungen zuzuordnen sind. Konservativ zu behandelnde, chronische Erkrankungen, Prävention und
Elemente wie Koordination und Integration sind weitestgehend von der Qualitätssicherung ausgeschlossen. Die derzeitige
Qualitätssicherung ist rein sektoral organisiert, selbst die wenigen
„transsektoralen“ Projekte bleiben – wie der Begriff schon andeutet – der
sektoralen Logik verhaftet. Es ist daher ein Richtungswechsel notwendig.
Nicht zuletzt angesichts der großen Zahl bereits laufender
Integrationsprojekte sollte die Entwicklung jetzt zügig und vorrangig eine
regionale und Populations-Perspektive einnehmen, die die Prävention und
gesundheitliche Versorgung von Populationen (z.B. durch sog. area-
Indikatoren) in den Vordergrund stellt. Hierzu gehört auch eine
Populations-bezogene (und nicht Anbieter-orientierte) Bedarfsplanung.
Instrumente zur Qualitätsverbesserung, die derzeit diskutiert werden (z.B.
Pay for Performance), müssen kritisch daraufhin überprüft werden,
inwieweit sie diesen Aufgaben förderlich sind.
Weitere Aspekte von “Qualität 2030”:
Das Gutachten steht hier zum Download
bereit (weiterhin die Presseerklärung, Beilage Tagesspiegel am Vortag, Link zur
entsprechenden MWV-Webseite).
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Qualitätssicherung nach §137 SGB V:
schematische Darstellung der Krank-
heitsbilder/Prozeduren entsprechend der
Koordinaten chronisch/akut, konserva-
tiv/operativ. TX Transplantation, CAP
Ambulant erworbene Pneumonie
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