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Prof. Dr. med. Matthias Schrappe
Fachkongress zum Innovationsfonds, 08.03.2016 in Berlin Die Zahl der Berliner Veranstaltungen zum Thema Innovationsfonds, Bestandteil des “GKV-Versorgungsstärkungsgesetz” vom Sommer letzten Jahres (mehr), ist Legion, aber diese Veranstaltung stach heraus: gute Referenten, mitteilsame Politiker, gute Moderation und Organisation, das alles in der Bertelsmann-Residenz Unter den Linden 1. Gut verständlich, es gibt Geld, die erste Ausschreibung zur ersten Tranche ist raus (s.u.), der Expertenbeirat ist berufen. Der Vorsitzende dieses Beirats, der Kölner Versorgungsforscher Prof. Holger Pfaff, Direktor des dortigen IMVR sowie langjähriger Gründungsvorsitzender des Deutschen Netzwerkes Versorgungsforschung (DNVF e.V.), hielt dann auch einen zentralen Vortrag zum Thema, im Duett mit dem gut erholt und spontan wirkenden Unparteischen Vorsitzendes des GBA, Prof. Hecken. Auch sprachen Staatssekretär Stroppe (BMG), Ulrike Elsner (vdek) und Harald Möhlmann (AOK Nordost), so dass sich ein Bild mit vielen Facetten ergab. Besonders hervorzuheben ist der Vortrag von Prof. Reinhard Busse, Berlin, der die internationalen Vorbilder und Parallelen darstellte (besonders beachten: CMMI des CMS in den USA), weiterhin die Darstellung vpn Prof. Gerd Glaeske, der die Kontinuität der die Entwicklung (z.B. hinsichtlich der Forderungen des SVR) zum Thema hatte, und von Prof. Wolfgang Hoffmann, Greifswald, der den Innovationsfonds (recht abwechselungsreich und ironisch) in den Zusammenhang der aktuellen Entwicklungen und den Herausforderungen der aktuellen Gesundheitsversorgung stellte. Überhaupt bestand gute Stimmung allerorten. Im Schlussviertel hatte man fast das Gefühl, gleich gehen Politik und Wissenschaft flächendeckend zum vertraulichen “Du” über. Kein Wunder, denn zur Zeit ist ja allseitiger Honeymoon angesagt. die Wissenschaft erhält Geld und deutliche Aufwertung, und die Politik (einschließlich Selbstverwaltung/GBA) etwas noch Wertvolleres: nämlich Legitimation. Die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens, vor allem seines ambulanten Parts, soll nun Evidenz-basiert erfolgen, die Experten geben ihr Plazet, endlich. Doch auf den Honeymoon folgt bekanntlich der Alltag, deshalb ist Wachsamkeit angesagt, auf zwei Ebenen. Erstens sollte man sich bereits heute mit dem Gedanken auseinandersetzen, was passiert, wenn die Projekte und die Versorgungsforschungs-seitige Evaluation nicht die gewünschten Ergebnisse erbringen, die man erwartet hat. Wer hat dann den Schwarzen Peter? Hoffentlich ist es nicht die Versorgungsforschung, die den Blitzableiter spielen muss. Und zweitens: die Versorgungsforschung sollte sich stringent weiter mit der Stärkung der wissenschaftlichen Methodik beschäftigen, damit man 2019 wird nachweisen können, dass es nicht, eben nicht!, die Schwäche der Versorgungsforschung war, wenn man mit den Ergebnissen des Innovatiosnfonds und den Fortschritten nicht zufrieden sein sollte. Grund genug also, sich bereits heute mit einer kritischen Analyse dieses Geldregens zu beschäftigen, und den Zusammenhang aufzubereiten, in dem der Innovationsfonds “aufgehängt” ist. Analytisch lässt sich die Einrichtung des Innovationsfonds aus verschiedenen Perspektiven darstellen: • System-Perspektive: der Innovationsfonds ist nicht zufällig Bestandteil des GKV-VSG, das schwerpunktmäßig der Weiterentwicklung der ambulanten Versorgung gewidmet war. Er ist daher als „Strukturfonds“ mit Schwerpunkt Integration und Qualität in der ambulanten Versorgung zu verstehen, im Mittelpunkt stehen dabei die Selektivverträge nach §140a SGB V (”Besondere Versorgung”). Es besteht eine klare Analogie zum Strukturfonds für die Weiterentwicklung des Krankenhauswesens im nachfolgenden Krankenhausstrukturgesetz (KHSG, §§12-14 KHG). Aus Systemsicht sollen also beide Bereiche, Krankenhaus- Versorgung und ambulante Versorgung, durch möglichst gezielte finanzielle Anreize fortentwickelt und mtieinander verwoben werden. Kein schlechter Gedanke, denn hier liegt der “Hase im Pfeffer”, aber es macht natürlich nachdenklich, dass es nicht Steuer- sondern Beitragsgelder sind, die hier aufgebracht werden (bis auf den Länderanteil des Krankenhausfonds). • Stakeholder-Perspektive: der Innovationsausschuss als wichtigstes Gremium des Innovationsfonds ist formal (mit Ausnahme der drei Sitze BMG/BMBF) analog zum Gemeinsamen Bundesausschuss zusammengesetzt (2x3 Stimmen, plus eine Stimme für den Unparteiischen Vorsitzenden), die Mehrheit ist gesetzlich auf 7 Stimmen festgelegt. Wer die chronische Zerstrittenheit aufseiten der Leistungsanbieter kennt, dem ist klar, dass durch diese Regelung den Krankenkassen die entscheidende Stellung bei der Gestaltung der Auftragsvergabe zukommen wird. Es kommt hinzu, dass die Beteiligung der Krankenkassen an den Projekten nach den Bestimmungen des §92a quasi verpflichtend ist. Auch in den inhaltlichen Vorgaben wird immer wieder auf die sektorübergreifende Versorgung und vor allem auf die Selektivverträge (Besondere Versorgung nach $140a) verwiesen, die Direktkontrahierung zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern steht also im Vordergrund. • Institutionelle Logik: Der Gemeinsame Bundesausschuss erhält durch den Innovationsfonds zusätzlich zum Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) und zum Institut für Transparenz und Qualität (IQTiG) eine „dritte Institution“, mit dem hier nun Strukturentwicklungen (unter Rückgriff auf das Instrumentarium der Versorgungsforschung) evaluiert werden. Gerade da der GBA lt. Gesetzestext auch die von ihm selbst erlassenen Richtlinien evaluieren kann, wird er als Institution durch den Innovationsfonds nachdrücklich gestärkt - Richtlinien erlassen und selbst evaluieren, ist natürlich für jede Einrichtung ein attraktives Arrangement. Im Gesundheitswesen kann man derzeit also fast prototypisch die Etablierung einer gemischten Stakeholder-Experten- Governance betrachten. Wenngleich die Politik durch die drei Mitglieder der Bundesregierung im Innovationsausschuss zumindest in Ansätzen erkennen lässt, dass es sich ja um politische Entscheidungen handelt, die dort getroffen werden (übrigens ebenso wie z.B. die Allokationsentscheidungen für Behandlungsmethoden, die ja auch im GBA getroffen werden) und es weiterhin bei der Rechtsaufsicht durch das BMG bleibt, muss man doch festhalten, dass die externe Referenz ausserordentlich schwach ausgeprägt ist, daran ändert auch der Expertenbeirat nichts. • Wissenschaftliche Perspektive: Trotz alledem, aus Wissenschafts-Sicht ist der Innovationsfonds ein Fortschritt, das deutsche Gesundheitswesen und die Gesundheitswissenschaften in Deutschland schließen mit seiner Einrichtung hinsichtlich Ausstattung und Finanzierung zu anderen Gesundheitssystemen auf (z.B. USA mit dem Patient Centered Outcome Research Institute und dem Centers for Medicare and Medicaid Innovation Center). Allerdings wird die Praxis zeigen, inwieweit wissenschaftliche Unabhängigkeit und Standards eingehalten werden können, und wie die Evaluation des Innovationsfonds Ende 2019 verläuft. Diese Analyse im Hinterkopf: viel wird davon abhängen, ob die Versorgungsforschung ihre methodische und strukturelle Entwicklung in Deutschland weiter wird fortsetzen können. Die Memoranden des DNVF (hier mehr dazu) sind hierzu ein wichtiger Schritt, ebenso die zahlreichen Arbeitsgruppen, die diese erarbeitet haben, denn sie dienen dem wissenschaftlichen Austausch. Der Start mit der ersten Ausschreibung (hier Pressemitteilung des Innovationsausschusses vom 29.2.2016) ist ist undramatisch: eHealth, Sektorübergreifende Versorgung, Patientengruppen at risk, ganz zentral die Forderung der Evaluierbarkeit, wenn man genau hinschaut: eigentlich wird nichts ausgeschlossen. Einzige Bedingung in den §92 Abs.1 - Anträgen: die Regelversorgung muss stehen und darf nicht beantragt werden, nur das add on der jeweiligen Projektfragestellung. Zusammenfassend ist der Innovationsfonds ein großes Experiment: lassen sich politische Entscheidungen durch wissenschaftliche Evaluation und die Einbeziehung der Stakeholder in effektiver Form vorbereiten, ja letztendlich treffen? oder bleibt am Ende doch nur die Entscheidung auf politische Ebene. Den Ausgang des Experiments sollte man mit größtem Interesse verfolgen. Für die Versorgungsforschung ist die ganze Sache eine rieisige Chance - wenn sie sich nicht unterkriegen lässt, sondern sich zielstrebig weiterentwickelt.
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